Was lernen wir von Stammeskulturen? I MAGAZIN relations GmbH

Zugehörigkeit neu denken

Was uns in dem Gespräch beschäftigt hat, war das Wort“ Tribe“, was damit gemeint ist, im gesellschaftlichen Zusammenhang, in der Arbeit, wie wir das auch individuell verstehen.

Das Wort Tribal leitet sich ab vom englischen Wort Tribe, was soviel wie Stamm bedeutet. Gemeint ist damit aber nicht etwa der Stamm eines Baumes, sondern ein Völkerstamm. Es klingelte in mir und ich erinnerte mich an all die vielen Männer und Frauen, die – ein Boom seit den späten 1990ern – sichtbar Tribal-Tattoos auf ihrer Haut tragen, und deren Motive man mit einem leichten Augenzwinkern irgendwie schon fast mit einem Scherenschnitt vergleichen kann.

Für den genauen Ursprung des Tribal-Tattoos gibt es gleich mehrere Theorien. Manche schreiben ihn den indigenen Urvölkern Polynesiens zu, andere wiederum den Kelten. Eines haben die Tribals beider Theorien jedoch gemein: Sie dienten weniger als Körperschmuck, sondern mehr als Teil der Kultur und als Zeichen der Stammeszugehörigkeit. Und damit haben wir wieder den roten Faden aufgenommen, nämlich die Frage nach der Zugehörigkeit und was das mit Tribes zu tun haben könnte.

„Tribe – Das verlorene Wissen und Gemeinschaft und Menschlichkeit“ heißt das Buch, welches Thomas Leschig während unseres Gesprächs skizziert hat. Geschrieben wurde es von dem vielfach ausgezeichneten Journalisten Sebastian Junger, der von einem Trauma unserer Gesellschaft spricht, nämlich von einer Gesellschaft ohne Gemeinschaft. Junger gibt Beispiele, warum sich Menschen sehnsüchtiger an Katastrophenerfahrungen als an Hochzeiten oder Urlaube erinnern, warum Soldaten nach der Rückkehr aus dem Krieg sich wieder zu Einsätzen melden, kurz, er stellt interessante wichtige gesellschaftliche Fragen und versucht diese zu beantworten. Was wir laut Junger nämlich von Stammeskulturen neu lernen können, seien Fragen zur Loyalität, zum Gemeinschaftsgefühl, zur Sinnhaftigkeit, also all das, was uns verloren gegangen ist, wir leben in einer erkalteten Welt jenseits der Solidarität.

Nun hat nicht jeder Mensch Interesse daran ein Buch zu lesen, in dem sich Kriegserlebnis an Kriegserlebnis, Grauen an Grauen reiht, auch dann nicht, wenn es ganz oben auf der New York Times Bestsellerliste steht. Wichtig ist die Fragestellung, nämlich die nach der sozialen Zugehörigkeit, bzw. dem Verlust von dieser und – was das – Achtung, neue Ebene! – mit dem Arbeitsmarkt zu tun hat.

Warum setzen Großunternehmen wie die Deutsche Telekom auf Transformation und agile Strukturen? Warum ist das Spotify-Modell mit Squads, Tribes und Chapter so erfolgreich? Wegen höher, schneller, weiter? Weil das Arbeiten in Mini-Teams erfolgreicher ist? Das ist ein Aspekt. Der viel Wichtigere, im ursprünglich von Spotify entwickelten Agilitätsdreieck „Squad“ und „Chapter“ verdeckte, ist aber der Tribe-Aspekt. Denn hier geht es nicht um Mode oder Körperschmuck, sondern um Zugehörigkeit und natürlich ist es im Interesse eines Unternehmens, dass sich die Erwerbstätigen zugehörig fühlen und vice versa. Schließlich haben wir es ob sozialer Zugehörigkeit mit einem menschlichen Grundbedürfnis zu tun, das tief in unserer Identität verankert ist.

Mit dieser Feststellung, aber auch Fragestellung lässt sich vielleicht erklären, zumindest diskutieren, warum Transformationsprozesse in Unternehmen so schwierig sind und Menschen die Schotten dicht machen, wenn sie nur das Wort „Transformation“ hören. Das gilt übrigens auch dann noch, wenn bei gleichem Jahresgehalt im sechsstelligen Euro-Bereich neue agile Projektmanagement-Tools eingeführt werden und die Abteilungsleitung auf einmal Chapter-Lead heißen soll.

„Soziale Zugehörigkeit bildet für Erwerbstätige ein in ihrem Arbeitsalltag relevantes Grundbedürfnis und für Unternehmen eine wichtige organisationale Ressource für die Loyalität, Leistungs- und Innovationsbereitschaft von Beschäftigten“, schreibt Guido Beck in „Identität in der modernen Arbeitswelt – Neue Konzepte für Zugehörigkeit, Zusammenarbeit und Führung“.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich über viele Jahre an einen Führungsstil gewöhnt – und sollen plötzlich kreativ sein und unabhängig von Budget und Regularien etwas konzipieren? Auf einmal wird auch von einer positiven Fehlerkultur gesprochen? Das ist definitiv kein leichter Schritt, für nicht wenige fühlt es sich an, als würde ihnen der Boden unter den Füßen weggerissen werden und oftmals müssen die Erwerbstätigen erst (Selbst-) Vertrauen aufbauen, um diese Schritte einzuüben.

Guido Beck führt an, dass die Ökonomisierung und Digitalisierung von Arbeit soziale Zugehörigkeit in der modernen Arbeitswelt unter einen hohen Veränderungsdruck setzen, der durch (…) ambivalente Tendenzen der Stärkung, Umwertung, Fragmentierung, Erosion und Neufirmierung sozialer Zugehörigkeit geprägt ist“.

Dieser Wandel ist umfassend, bei dem auch das Unternehmens- und Change-Management vor große Herausforderungen gestellt wird: Betroffen sind a) die soziale Teilhabe von Menschen an der Erwerbsarbeit, b) die organisationale Zugehörigkeit, c) berufliche Bindungen, und d) die Zugehörigkeit zu erwerbsbezogenen sozialen Netzwerken – um nur einige Beispiele anzugeben, derer es sicherlich noch mehrere gibt.

Thomas Leschig und ich haben unser Gespräch zum Ende hin offengelassen, wir wussten, dass wir zu keiner wirklich befriedigenden abschließenden Betrachtung rund um „Zugehörigkeit“ kommen werden. Das Thema ist – man mag es fast nicht glauben –frisch, jedenfalls im Kontext rund um Arbeitsmarkt und Erwerbstätigkeit.

Dass Zugehörigkeit ursprünglich die Selbstverständlichkeit des Seins beinhaltete, wunderbar in dem Satz „Heimat ist da, wo man sich nicht erklären braucht“, ausgedrückt, ist für die postmoderne Welt und Arbeitswelt, in der wir leben, nicht mehr haltbar. Zumindest darauf konnten wir uns abschließend committen: Wir müssen lernen, Zugehörigkeit neu zu denken. Und diese Vielfalt in Zugehörigkeiten mitunter erklären können.

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